Wie viel digital ist richtig... für die sozial emotionale Entwicklung bei Kindern?

Thema Medienkompetenz und digitale Kommunikation bei Kindern polarisiert und wirft eine Menge Fragen auf. Auch und gerade für unseren Online-Kurs. Wir empfehlen, darüber zu sprechen.

#Medienkompetenz #Digitalisierung #Daddeln

Sozial emotionale Entwicklung trifft Digitalisierung

Wir bei EmpowerLand möchten Kinder gerne stärken und das tun wir seit drei Jahren mit Feriencamps (in denen die Handys zu Hause bleiben). Mit dem Online-Kurs Lieblingsstunde begeben wir uns nun auf digitales Terrain und das bringt uns (ebenso wie viele Eltern) in eine Zwickmühle. Wir möchten die sozial emotionale Entwicklung stärken, aber geht das digital?

Das Digitale wird nicht mehr verschwinden, längst ist es fest mit unserem Alltag verwoben. Wir Erwachsenen kommen kaum ohne Telefon klar und wenn wir mal einen ganz verrückten Moment haben, reden wir von “Digital Detox” während wir bei jedem Nachrichten-Pling eines fremden Handys einen Phantomschmerz verspüren.

 

Kommunikation bei Kindern fördern durch Kommunikation mit Kindern

Also wie viel digital ist gut? Oder wie geht digital richtig? Wenn wir Kindern einen bewussten Umgang mit digitalen Geräten vermitteln wollen, bewegen wir uns gedanklich auf des Messers Schneide: Technologie als Ermöglicher, Kulturtechnik und Zugang zur Welt ODER Technologie als Konsummittel, das uns ablenkt und eine kurzfristige Erleichterung und Zufriedenheit verschafft.

Es gibt bereits unzählige Ratgeber und inzwischen auch Seminare zur Medienkompetenz. Wir sind überzeugt, dass es etwas bringt, mit Kindern über Technologie zu sprechen. Die kritischen Punkte gemeinsam zu hinterfragen und die guten Aspekte herauszuarbeiten. Denn wenn es um Kommunikation bei Kindern geht, hilft es, in die Kommunikation mit Kindern zu gehen. 😊

Engelchen und Teufelchen besser verstehen

Nachfolgend haben wir ein paar wissenschaftliche Erkenntnisse für euch in kindgerechter Sprache erklärt, so dass ihr mit euren Kindern darüber sprechen könnt, wenn ihr möchtet. Ihr findet verschiedene Argumente, um die Frage „Wie viel digital ist richtig?“ mit euren Kindern gemeinsam zu klären. Ja, es ist ein langer Text, sucht euch gerne erstmal die eine Frage aus, die gerade am spannendsten ist. Alle Quellen mit findet ihr am Ende des Textes als Link.

Was passiert im Gehirn, wenn Kinder  digital unterwegs sind?

Es gibt viele Forscher*innen (sogenannte Neurowissenschaftler*innen), die sich bestens mit dem Gehirn auskennen. Mit Geräten wie MRT-Scannern können sie in unsere Gehirne schauen und sehen beispielsweise, was dort passiert, wenn wir eine Sahnetorte essen (und dass unser Gehirn dann Stoffe produziert, die machen, dass sich unser Körper gut anfühlt).

Einer dieser Forscher ist Gary Small. Er wollte wissen, was sich im Gehirn von Kindern verändert, wenn sie Computer, Apps und Handys benutzen. Dazu hat er geschaut, was sich im Gehirn verändert, wenn jemand vor dem Bildschirm sitzt. Und auch ob das Gehirn sich dadurch über längere Zeit verändert. 

Zwei wichtige Dinge hat Small herausgefunden: In den Gehirnen von Kindern ist noch viel mehr los, mehr als in Erwachsenengehirnen. Wenn man sich das Gehirn wie eine große Kiste mit Legosteinen vorstellt, dann können Kinder noch alles daraus bauen. Und sie können das Raumschiff auch wieder kaputt machen und sich etwas ganz anderes ausdenken. Bei den Erwachsenen ist das eher so, dass die meisten Steine aus der Legokiste schon verbaut sind und es wird selten wieder etwas komplett abgerissen, sondern es gehen mal Steine verloren oder werden getauscht.

Das ist gut zu wissen, denn das heißt, dass alles möglich ist. Was möglich ist, hat allerdings damit zu tun, womit Kinder ihre Zeit verbringen. Und hier wird es spannend: Das Gehirn passt sich an die digitalen Medien an. Und das hat gute und schlechte Seiten: eine gute Seite ist, dass das Gehirn “schneller” wird. Ihr könnt beispielsweise mehr Dinge gleichzeitig tun und Informationen schneller aufnehmen. Eine schlechte Seite ist, dass Kinder die sehr viel online sind, nicht so gut lernen, im echten Leben zurechtzukommen

Denn im Gehirn macht es einen Unterschied, ob ihr online spielt, Tanzvideos auf TikTok schaut ODER ob ihr draußen auf dem Spielplatz seid, eine Katze streichelt oder mit Freunden zusammen tanzt. Im echten Leben kann es nämlich passieren, dass die Katze uns kratzt oder Freunde auch mal gemein zu uns sind.

Was passiert im Gehirn, wenn Kinder Videospiele spielen?

Diego Redolar-Ripoll ist Neurowissenschaftler und schaut auch in die Gehirne von Menschen. Er findet es besonders spannend, was darin passiert, wenn wir Videospiele spielen. Dafür schaut er sich viele Daten an: Er nimmt Bilder von Gehirnen von Menschen, die viel Computer spielen, und vergleicht diese mit Gehirnen von Menschen, die wenig oder gar nicht Computer spielen. Diego hat dabei festgestellt, dass sich das Gehirn verändert, wenn wir bestimmte Computerspiele sehr oft spielen. Wenn wir uns beispielsweise im Spiel in einem neuen Raum orientieren müssen, dann wächst der Bereich, der dafür zuständig ist, dass wir den Weg finden. Dieser Bereich wächst aber natürlich auch, wenn wir in der echten Welt den Weg finden müssen. Das heißt, dass wir durch Computerspiele auch etwas lernen können.

Diego hat auch festgestellt, dass die Spieler sich gut fühlen, wenn sie im Spiel etwas schaffen oder jemanden besiegen. Und von diesem Gefühl können wir süchtig werden. Das kann Diego sagen, weil er in den Gehirnen erkennt, dass die gleichen Bereiche aktiv sind, wie bei Menschen, die drogenabhängig sind. Das ist also auch eine Gefahr. Wenn ihr Diego fragen würdet, wann es gefährlich wird, würde er sagen „Wenn ihr lieber den ganzen Tag drinnen vor einem Bildschirm sitzen wollt, statt rauszugehen und die Welt zu erkunden.“

Wie schlimm ist es, wenn Kinder den ganzen Tag vor dem Bildschirm sitzen?

Die OECD ist eine weltweite Organisation, die sich (auch) viel damit beschäftigt, was und wie Kinder lernen sollten, damit sie in Zukunft gesund und zufrieden leben können. Und darum wollte sie verstehen, wie sich digitale Technik wie Computer, das Internet und Mobiltelefone auf das Leben von Kindern auswirken. 

Als erstes haben sie festgestellt, dass es gar nicht so einfach ist, zu beweisen, was genau sich ändert, wenn Kinder mehr Zeit vor Bildschirmen verbringen und ob es ihnen damit besser oder schlechter geht. Das macht es auch den Erwachsenen sehr schwer zu entscheiden, wie viel davon gut ist. Einige Sachen sind leicht zu erforschen: Wer abends noch lange auf den Bildschirm schaut, schläft schlechter, ist müde und kann sich dann am nächsten Tag nicht gut konzentrieren. Das gilt übrigens auch für Erwachsene.

Einige andere Sachen sind nicht so einfach zu erklären: Es gibt beispielsweise einen Forscher (Jonathan Haidt), der mit vielen Kindern und jungen Menschen gesprochen hat und festgestellt hat, dass sich viele einsam und traurig fühlen (einsamer und trauriger als die Kinder früher). Er glaubt, dass es damit zu tun hat, was wir uns auf unseren Bildschirmen ansehen und erleben. Er sagt, dass wir online viel mehr andere sehen und dann oft denken, dass die anderen alles besser können und ein schöneres Leben haben als man selbst. Und es ist im Internet viel leichter, fies zu anderen zu sein, weil der andere ja nicht da ist, um sich zu wehren.

Dann gibt es aber auch Forscher, die untersucht haben, dass es vielen Kindern hilft, in den sozialen Medien aktiv zu sein und sich dort mit Freunden auszutauschen. Das merkt ihr wahrscheinlich selbst auch: Es ist toll, mit einem Freund noch Witze zu schreiben oder zusammen Videos zu schauen oder sogar andere Kinder kennenzulernen, die ihr sonst nicht kennenlernen könntet.

Das heißt also, Handys, Apps und Spiele haben gute und schlechte Seiten. Wie bei so vielen Sachen, die Spaß machen, kommt es auf die Menge an. Wir alle wissen, dass Sahnetorte lecker ist und uns glücklich machen kann, trotzdem isst niemand den ganzen Tag Sahnetorte.

Und nun?

Wenn ihr mit euren Kindern über die Gefahren und Chancen digitaler Medien sprecht, könnt ihr offen und neugierig schauen, welche unterschiedlichen Bedürfnisse hinter den Wünschen nach Medienzeit stecken. Bitte fasst euch gerne auch mal an die eigene Nase und fragt eure Kinder, wie sie eure Mediennutzung wahrnehmen (das kann auch lustig sein). Wir glauben, dass es sinnvoll ist, sich diese Zeit zum Verstehen zu nehmen, um dann gemeinsam Regeln aufzustellen. Für die Lieblingsstunde möchten wir digitale Technologien gerne bestärkend einsetzen und ihre Vorzüge nutzen, um eine langfristige positive Wirkung für die Kommunikation und die sozial emotionale Entwicklung bei Kindern zu erreichen. Schaut dafür gerne auch in unser pädagogisches Konzept!

Quellen

iBrain: wie die neue Medienwelt das Gehirn und die Seele unserer Kinder verändert; Gary Small, Gigi Vorgan, 2009

“Neural basis of video gaming: A systematic review”; Diego Redolar-Ripoll, Studie, 2017
Hier auch ein deutschsprachiges  Interview mit dem Forscher:
Neurologe über Games – „Ohne Suchtpotenzial kein Lernerfolg“ (deutschlandfunk.de)
 

OECD Bericht, 2019
“Impacts of technology use on children: exploring literature on the brain, cognition and well-being”: (leider nicht in einer deutschen Fassung verfügbar)

Generation Angst, Jonathan Haidt, 2024